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Hessen setzt auf die Kommunen

Das Land Hessen hat sich eine Volldigitalisierung der Verwaltung zum Ziel gesetzt. Im Interview mit Patrick Burghardt, CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung Hessen für E-Government und Informationstechnologie, wird deutlich, dass dies nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gelingen kann.

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Herr Burghardt, Sie sind Staatssekretär bei der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Welche Aufgaben und welche Vision hat der Geschäftsbereich?

Unser Bereich hat sich verschiedene thematische Schwerpunkte gesetzt. Diese wurden in der digitalen Gesamtstrategie gebündelt und im Jahr 2021 im Kabinett verabschiedet. Die Strategie umfasst die grundlegenden Bereiche Infrastruktur und Regelwerk. Zudem wurde sie in thematische Handlungsfelder, wie beispielsweise digitale Gesellschaft, Bildung oder Wirtschaft, gegliedert. Mein Aufgabenschwerpunkt liegt bei dem Thema digitale Verwaltung. Hier besteht das Ziel darin, die Verwaltungen zu digitalisieren und nutzerfreundlicher zu gestalten. Schließlich wollen unsere Bürgerinnen und Bürger digitale Lösungen.

Hessen sieht sich in einer führenden Rolle in der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – welche Strategie verfolgt die Landesregierung hier konkret?

Meines Erachtens war die Etablierung einer Digitalstrategie ein bedeutender und richtiger Schritt. Um Wandel zielgerichtet anzustoßen, brauchte es ein klares Statement der Landesregierung. Bereits im Jahr 2018 hat Hessen sich dafür entschieden, eine Volldigitalisierung der Behörden anzuvisieren. Um Möglichkeiten und Hindernisse frühzeitig zu erkennen, wurde eigens eine digitale Modellbehörde eingerichtet. Bisher gestaltet sich dieser Ansatz durchweg positiv.

Zudem war Hessen frühzeitig bereit, den Digitalisierungsweg gemeinsam mit den anderen Ländern zu gehen – gerade auch im Hinblick auf den verbesserten Onlinezugang zu Verwaltungsdienstleistungen (OZG). Hierfür arbeitet das Land eng mit den Kommunen zusammen. In dieser Form handhabt es kein anderes Bundesland. Beispielsweise stellen wir unseren 417 Kommunen seit 2019 die einheitliche Plattform Civento zur Verfügung. Dort sind Prozesse zur digitalen Abwicklung von Verwaltungsleistungen in einer Art Bibliothek hinterlegt. Die Kommunen können über diese Plattform auf die Prozesse zugreifen und müssen diese nur an ihre Gegebenheiten vor Ort anpassen. Dies spart eine Vielzahl von Arbeitsschritten und damit Bearbeitungszeit, wodurch die Digitalisierung vereinfacht und beschleunigt wird.

Warum ist der Fokus von Hessen auf die Kommunen so stark ausgeprägt?

Hessen vertritt die Auffassung, dass die Verwaltung nur dann digital und nutzerfreundlich werden wird, wenn häufig durchgeführte Aufgaben frühzeitig digitalisiert werden. Diese Aufgaben haben in der Regel mit unseren Bürgerinnen und Bürgern zu tun, die sich für gewöhnlich an die Kommunen und die Bürgerbüros vor Ort wenden. Deshalb müssen wir die Digitalisierung gemeinsam mit den Kommunen vorantreiben.

Welche Rolle spielt dabei die digitale Souveränität, und wie sichert man diese?

Die Souveränität von Daten ist für uns ein Topthema. Zum einen im Hinblick auf die originäre Datenspeicherung und zum anderen im Hinblick auf Cloud Computing. Schließlich müssen auch Cloud-Lösungen souverän sein. Aktuell beschäftigen sich viele Unternehmen damit, datenschutzgrundverordnungskonforme Lösungen zu entwickeln, indem sie europäische Cloud-Strukturen aufbauen.

Zum Thema Souveränität gehört auch, dass die Verwaltung souveräner mit den Daten arbeitet. Das ist aktuell nicht der Fall. Derzeit gibt es eine reformbedürftige Registerlandschaft, die nutzerfreundlicher gestaltet werden muss. Hierfür existieren bereits sehr gute Ansätze, aber auch diese kommen deutlich zu spät.

Wir müssen die Digitalisierung gemeinsam mit den Kommunen vorantreiben.

Patrick Burghardt ist CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung Hessen für E-Government und Informationstechnologie.

Foto: Andreas Varnhorn

Wie schätzen Sie den Bedarf von Cloud Computing ein?

Bund und Länder sind sich grundsätzlich einig, dass wir skalierbare Cloud-Lösungen brauchen. Wir brauchen die Möglichkeit, kurzfristig und schnell an zusätzliche Rechenleistung zu kommen. Dies hätte in der Vergangenheit auch deutschlandweit einige serverbedingte Pannen verhindern können. Derzeit nutzen wir eine Art lokale Cloud. Das ist ein Service der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung, durch den unser Personal ortsungebunden auf Daten zugreifen kann.

Welche Ziele verfolgt die Agenda Smarte Region Hessen, und inwiefern ist das House of Digital Transformation darin involviert?

Bei dem Punkt Smarte Region ging es darum, das Thema bekannter zu machen. In Hessen gibt es Kommunen, die sich mit dieser Thematik schon frühzeitig und intensiv beschäftigt haben. Hier zu erwähnen sind Darmstadt, Kassel, Bad Hersfeld und Eichenzell. Es gibt aber auch Kommunen, die das Thema erst deutlich später für sich erkannt haben.

Das Thema Digitalisierung soll buchstäblich bis in die Region getragen werden, denn es ist wichtig, die Menschen vor Ort zu erreichen. Daher auch die Begrifflichkeit. Mit der Geschäftsstelle Smarte Region bei uns im Haus gibt es in Hessen außerdem einen Anlaufpunkt für Kommunen, die sich mit dem Thema befassen. Es handelt sich dabei um eine Sammel- und Austauschstelle für digitale Ideen.

Die Regionen haben in den vergangenen drei bis fünf Jahren extrem viel für neue Infrastrukturen getan – insbesondere auch in Hessen. Dieser Trend soll aufgegriffen und durch neue Ideen weiter gefördert werden. Der durchweg positive Zuspruch zeigt, dass dieser Ansatz funktioniert. Schließlich ist die Einstellung der Menschen vor Ort entscheidend. Digitalisierung kann nur dann erfolgreich vorangetrieben werden, wenn Menschen auch ein Interesse an Veränderung haben.

 

Sie vertreten Hessen auch im IT-Planungsrat – wie geht die Arbeit dort voran? Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile dieser Institution?

Ein zentraler Vorteil des IT-Planungsrats besteht darin, dass es ein gemeinsames Commitment gibt. Alle eint die Idee einer digitalen Verwaltung. Hierfür arbeiten sie eng zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Es gibt ein ausgeprägtes Miteinander, das ich in dieser Form noch nicht erlebt habe.

Ein Hindernis ist, dass wir aktuell viel zu starr sind. Sowohl der Planungsrat als auch die Föderale IT-Kooperation (FITKO) müssen dringend agiler werden. Der IT-Planungsrat muss seine Governance-Struktur überarbeiten. Derzeit wird dafür eine Lösung gesucht. Es muss zügiger gehandelt werden, insbesondere, wenn es um das Institutionalisieren von Prozessen geht. Das ist aber auch eine Frage des Budgets. Ein Globalbudget könnte hier Abhilfe leisten.

Das Land Hessen hat bereits 2018 beschlossen, eine Volldigitalisierung der Verwaltung anzugehen. Mit der Agenda Smarte Region sollen die Kommunen in die Digitalisierung eingebunden werden.

Foto: Andreas Varnhorn


Der IT-Planungsrat und auch die Föderale IT-Kooperation (FITKO) müssen dringend agiler werden.

Sie haben das Onlinezugangsgesetz (OZG) schon mehrfach angesprochen. Wie bewerten Sie dessen Fortschritte?

Es ist bereits seit längerem absehbar, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht bis Ende dieses Jahres vollzogen sein wird. Dennoch war es wichtig, dass dieses Datum nicht gekippt wird. Wir brauchten diesen Druck – gerade für die Kommunen. Das Verständnis für das OZG musste erst reifen. Es ist schließlich nur der erste Schritt in Richtung Volldigitalisierung. Dabei kommt es entscheidend darauf an, den Schwung aus den Maßnahmen zum OZG beizubehalten und ihn für die weitere Reise zu nutzen.

Greift Hessen auch auf Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Partnern zurück, um die Digitalisierung voranzubringen?

Definitiv. Hessen kann Digitalisierung nicht neu erfinden, das wäre auch nicht zielführend. Das Land braucht die Privatwirtschaft mit ihrer Digitalisierungserfahrung und sucht den Kontakt zu ihr. Dieser Ansatz bringt die Verwaltungen dazu umzudenken. Es ist wichtig, aus den eingefahrenen Bahnen auszubrechen. Daher versuchen wir auch bei Kooperationen, neue Wege zu gehen.

Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

Der Geschäftsbereich der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung ist Teil der Hessischen Staatskanzlei. Der Bereich wurde bei der Bildung des Kabinetts Bouffier III am 18. Januar 2019 neu gegründet. Prof. Dr. Kristina Sinemus wurde zugleich zur ersten Staatsministerin ernannt, während Patrick Burghardt als Staatssekretär in die Landesbehörde einzog.

Inwieweit kooperiert Hessen dabei mit GovTechs?

Intensiv! Die Zusammenarbeit mit dem GovTech-Campus ist die Antwort auf die Frage, wie eine Verwaltung es schaffen kann, junge und neue Ideen aufzugreifen. Diese brauchen wir, um künftig souveräner, autonomer und agiler handeln zu können. Mit dem Campus holen wir die jungen Menschen ab. Wir erklären ihnen, wie die öffentliche Verwaltung arbeitet und was es zu beachten gilt. Gerade das Thema Vergabeverfahren wirkt für viele neue Akteure der freien Wirtschaft abschreckend. Wir betreiben intensive Aufklärungsarbeit, damit sie sich dem Prozess nicht gänzlich verschließen. Gleichzeitig ist es aber auch Ziel des Campus, die Verwaltung empfänglicher für die Jungunternehmer, ihre Start-ups und deren Communities zu machen. Auch hier ist Aufklärungsarbeit vonnöten.

Wie können Behörden eigenes Know-how und eigene Innovationskraft durch solche Kooperationen entwickeln?

Indem sie sich auf die Kooperationen einlassen. Der Verein wird in diesem Jahr gemeinsam mit dem Innovation Hub 110, der Denkfabrik des hessischen Innenministeriums, den GovTech-Campus Hessen eröffnen. Im Fokus steht hierbei das Thema PoliceTech, mit dem sich das Ministerium schon lange beschäftigt. Das Ziel ist es, neuen Input einzuholen und das Thema gemeinsam mit Start-ups voranzutreiben.

Kooperationen zwischen Verwaltungen und Start-ups sind heute keine Utopie mehr, sondern tragen tatsächlich Früchte. Dies lässt sich anhand unseres neuen Kommunikationstools verdeutlichen. Das neue Standard-Kollaborationswerkzeug des Landes Hessen („HessenConnect 2.0“) wird durch ein Start-up aus dem GovTech-Campus bereitgestellt. Hinzu kommt, dass es eine souveräne Cloud-Anwendung und eine Open-Source-Lösung ist.


Das Land braucht die Privatwirtschaft mit ihrer Digitalisierungserfahrung.

Wie steht es hier um die Nutzungsbereitschaft in der Belegschaft?

Die Kolleginnen und Kollegen nutzen neue Technologien und wollen sie auch nutzen. Sie sind bereit für Veränderungen. Das zeigt auch der Wunsch nach einem mobileren Arbeiten. Diesbezüglich evaluieren wir gerade unsere Dienstvereinbarung mit dem Personalrat. In einer einjährigen Erprobungsphase wird aktuell mobiles Arbeiten von bis zu 50 Prozent ermöglicht und erprobt. Ein solcher Schritt wäre für eine Staatskanzlei vor drei Jahren undenkbar gewesen. Aber es funktioniert. Daher brauchen die Beschäftigten die entsprechenden Kommunikationswerkzeuge, die wir ab Ende 2022 mit dem neuen System modernisieren und noch mehr Beschäftigten zur Verfügung stellen.

Sie haben den GovTech-Campus schon angesprochen. Ist er für Entrepreneure, Digitalinnovatoren und Investoren attraktiv?

Ja, der Andrang potenzieller Förderer und Mitglieder ist enorm. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand.

Der GovTech-Campus steht mittlerweile in der Start-up-Strategie des Bundes. So viel positive Resonanz zeigt deutlich, dass das Projekt mit seinem Angebot den Zeitgeist trifft. Ich selbst erlebe es vor Ort immer wieder am eigenen Leib. Meist sind es Zufallsbegegnungen, die zum Austausch führen und mit neuen Eindrücken und Ideen enden. Ich konnte schon einige Gedanken mitnehmen, die sich in unserer Abteilung wunderbar integrieren ließen. Meines Erachtens ist es ungemein wichtig, empfänglich für Inspirationen zu bleiben.

Wie hat die Digitalisierung die Arbeitskultur sowie die Hierarchien und Organisationsstruktur der Landesverwaltung verändert? 

Formal betrachtet eigentlich gar nicht. Die Geschäftsordnung der Hessischen Landesregierung ist die gleiche geblieben, und auch die Geschäftsverteilung der Landesregierung sowie die der einzelnen Ressorts hat sich kaum gewandelt. Veränderungen gab es allerdings beim Arbeiten, das ist deutlich agiler geworden. Außerdem hat sich die Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts verbessert.


Kooperationen zwischen Verwaltungen und Start-ups sind heute keine Utopie mehr.

Welche Möglichkeiten des Datenmanagements nutzt die Landesregierung, um ihren Auftrag zu erfüllen? Welche Rolle spielt Gaia-X dabei?

Derzeit managen wir die Daten nicht, sondern lagern sie nur. Im Hinblick auf die Digitalisierung ist das eines unserer Probleme. Hier gilt es, sich ein Beispiel an unseren Nachbarländern zu nehmen. Unsere Verwaltungen müssen anfangen, Daten sinnvoll und zielgerichtet zu nutzen, so dass Abläufe reibungsloser ineinandergreifen. Hiervon würden alle profitieren, nicht nur unsere Bürgerinnen und Bürger, sondern auch unsere Beschäftigten.

Nehmen Sie das Beispiel Norwegen: Hier sind die einzelnen Register so gut miteinander verbunden, dass der Staat die Steuererklärungen für alle Bürgerinnen und Bürger selbst anfertigt und (digital) verschickt. Das führt dazu, dass alle Norwegerinnen und Norweger ihre Steuererklärung am selben Tag erhalten und sich zeitnah mit diesem Bescheid auseinandersetzen. Hierdurch gibt es eine unglaubliche Zeit- und Geldersparnis. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, unsere unzähligen Register zumindest in der Form zu konsolidieren, dass eine gemeinsame Arbeit mit den Daten möglich wird. Dafür braucht es mutige Entscheidungen und ein entschlossenes Handeln. Das Registermodernisierungsgesetz ist hier ein guter Anfang. Für uns ist Gaia-X natürlich ein wichtiges Thema, das auf der europäischen Ebene mitbegleitet wird. Die Ministerin setzt sich intensiv für dieses Projekt ein und beteiligt sich auch an den politischen Debatten. Egal ob diese vor Ort, im Bundesrat oder in Brüssel stattfinden. Für die Verwaltungsdigitalisierung an und für sich ist Gaia-X aktuell aber noch nicht von großer Relevanz. Derzeit ist es eher noch ein Wirtschaftsthema.

Gibt es Zukunftsszenarien, in denen die Daten der Bürgerinnen und Bürger an einen gewerblichen Dienstleister weitergegeben werden dürften?

Das halte ich für ausgeschlossen und auch nicht für notwendig. Die Verwaltungen sind schon einen großen Schritt weiter, wenn sie es schaffen tatsächlich mit den Daten zu arbeiten, die der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen. Hierfür müssen die Daten nicht an private Anbieter weitergegeben werden. Ich hielte es vielmehr für einen großen Fehler.

Das Interview führte Jacqueline Preußer.